Kirche und Social Media

„Liebes Volk Gottes,
du, Kirche, wir müssen Reden!
Die Zeit der Matritzen und Matzen ist vorbei!
Ich lege Datenleitungen wie Wasserströme in die Wüste, damit ihr euer Ziel schneller erreichen könnt.
Der Weg war bei mir noch nie das Ziel. Sondern die Ankunft und die Anbetung.
Ruft die gute Nachricht durch alle Kanäle, die ich euch bereitstelle. Und wisst dabei:

Ich gehe voran.
Ich gehe voraus. Auch durch Kupfer- und Glasfaserkabel.
Habt keine Angst, dieses vermeintlich böses Internet ist nichts anderes als eine harmlose Verpackung der Dinge.
Es kommt daher wie eine rote Schleife und ist doch nur ein schnöder Pappkarton.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Über Social Media reden kann man. Endlos. Das wollen wir heute und hier aber bestimmt nicht machen.
Social Media angucken mit netten Folien und Webseiten kann man auch. Endlos.
Wann immer ich in kirchlichem Kontext über das Thema rede (und das tue ich in letzter Zeit häufiger) ist die Aussage zu vernehmen:
„Das sollen wir jetzt auch noch machen!“ Vorzusingen nach einer Weise Davids als er sich eine neue Zwille bauen sollte. Die Melodie brauche ich ihnen nicht vorzusingen. Sie alle könnten mitsingen:
Das Lied der Klage über Arbeitsmehrbelastung: "Erhebe dich, Gott, über den Himmel“, möchte man mit Worten des 56 Psalms rufen.
Und weiter: „Sie haben meinen Schritten ein Netz gestellt und meine Seele gebeugt“, so in etwa könnte der kirchliche Klagetext zur Melodie lauten.
Nun soll es heute und hier nicht darum gehen, sich aus diesem Netz zu befreien, sondern Schritte in diesem Netz, das für uns alle „Neuland“ ist (muhaha), zu gehen.

1. Sage „Ich“ nicht „man“
(Die alte Homiletik-Weisheit aus dem Predigerinnenseminar gilt auch heute im Internet.)
Wenn Sie sich im Internet bewegen, geht es auch um Ihre Identität.
Es geht um die Grundfrage: „Wer bin ich, und wie lasse ich das meine Mitmenschen wissen.“
Jede Plattform bietet einen solchen Vorstellungrahmen an, der auzufüllen und mit einem Profilbild, dem sag. Avatar - also einem Platzhalter einer„digitalen Identität“, verbunden wird. Dazu kommt noch ein Nickname. Sie kennen das aus Ex.3,14 JHWH, „ich bin, der ich bin“. Die sogenannte Selbstvorstellungformel. Sie kennen das auch aus anderen Zusammenhängen, in denen diese Selbstvorstellungsformel auftaucht: „Mein Name ist Bond. James Bond.“
Ist man oder frau auf mehreren Plattformen aktiv, ist es hilfreich, wiedererkannt zu werden. Wenn hier von Plattformen die Rede ist: reden wir über in erster Linie über Facebook, Blogs von Privatpersonen und Twitter und Youtube.

2. Sage „Wir, gemeinsam“
Es geht um Beziehungs-Management.
Mit wem verbinde ich mich, mit wem verbindet mich etwas, wie pflege ich diese Beziehung. Im Mittelpunkt hierbei stehen dann weniger die Katzenfotos oder privaten Status Meldungen, sondern: Austausch von Erfahrungen, Ideen, Meinungen. Das sich Beziehen auf Texte, die von allen eingesehen werden können.  Und dann „verarbeitet“ also kommentiert werden.
Auf der Webseite des Hauses Kirchlicher Dienste ist von „Vernetzung“ die Rede. Genau um das Herstellen solcher Netzwerke geht es beim Beziehungsmanagement.
Die Terminologie auf den verschiedenen Plattformen für dieses Beziehungsmanagement ist nicht einheitlich und reicht von Freunden, Abonnenten, Kreisen, Followern, Fans und Listen. Gemeint ist aber immer derselbe Vorgang des Austauschs oder früher ansetzend die Bereitschaft zur Kommunikation.  Für eine Kirche, die sich selbst als eine Kirche des Wortes konstituiert weiß, müsste es eine Selbstverständlichkeit sein die Bereitschaft zur Kommunikation als Lebens- und Wesensäußerung zu begreifen. Zumal es in ihrem Auftrag um die Kommunikation des Evangeliums geht. Warum es dennoch in großen Teilen unserer Kirche Widerstände gegen digitale Kommunikation gibt, werden wir im Laufe des Tages bestimmt noch vernehmen.

3. Sage „Etwas“
Es geht um Informations-Management.
Was weiss ich und wie organisiere ich mein Wissen? Hier geht es um die Dokumentation ihrer Arbeit und auch die Darstellung der Früchte ihrer Arbeit. Das kann im Vorfeld durch gezielt Ankündigung sein, umfasst bisweilen sogar die live Berichterstattung und endet in der reflektierten Rückschau, die wiederum die beste Einladung für ihre neuen Veranstaltungen darstellt. Das alles findet im kirchlichen Kontext zwar statt, aber nicht öffentlich. Indem allerdings ein universeller Zugang und dessen gemeinschaftliche Nutzung verschlossen bleibt, wird das gemeinsame Entwickeln von Ideen auch von vornherein ausgeschlossen. Das ist in dem Bereich, in dem wir und bewegen besonders kritisch.

a) weil Innovation in kirchlichen Arbeitsfeldern ständig eingefordert, aber selten auch geliefert wird.
b) weil die - besonders im Protestantismus - verbreiteten Doppelstrukturen von Ämtern und Aufgaben förmlich zur Vernetzung drängen. Dennoch ist die Ansprechpartnerin im Nachbarkirchenkreis, dem Nachbardekanat, oder der Mitarbeiter mit demselben Arbeitsfeld wie ich – nur eben in Bayern - gefühlte Lichtjahre entfernt. Mit Hilfe von Gruppenfunktion bei Facebook, kleinen Helferlein wie Drobbox oder Google Docs, sitzt der Kollege/Kollegin jedoch genau neben ihnen. Freilich, müssen sie das auch wollen. Wenn sie lieber für sich bleiben und ihr Ding machen wollen, brauchen sie Social Media wirklich nicht.

Ein gelungenes Beispiel von Informationsmanagement ist übrigens die Gruppe der heutigen Referenteninnen hier. Wir alle kennen uns aus dem Internet. Nicht jedoch, weil wir dort Freunde gesucht hätten, sondern weil uns Themen interessierten. Über diese Themen stießen wir dann auf Menschen. Hier und da haben wir kurze Begegnungen in der kohlenstofflichen Welt gehabt, gleichwohl lesen wir uns nahezu täglich. So schleißen sich die Bereiche des Informations -, Bezeihungs- und Identitätsmanagementes wieder zusammen. Der Grund, warum diese Medien auch „sozial“ genannt werden. Allerdings erweckt der deutsche Sprachgebrauch den Eindruck eines gemeinnützigen Vereins oder einer mildtätigen Vereinigung. Und so
werden Unternehmen wie Facebook oder Google dann auch bewertet, weil deren Dienste zumeist ja kostenlos angeboten werden.
Bitte beachten Sie jedoch: Sie sind nie Kunde dieser Unternehmen, sondern sie sind deren Produkt, mit dem das Unternehmen seinen Umsatz generiert.

4. Mit meinem letzten Satz, dass wir uns, wenn wir uns auf Social Media einlassen, zu Produkten machen, ist Widerspruch gewissermaßen vorprogrammiert.
Hier gibt es auch unterschiedliche Bewertungen der jeweiligen Landeskirchen. Natürlich kann man diese Bewertungen wieder mit Bewertungen versehn. Man und frau kann sich über Datenschutzregeln informieren und vielleicht sogar zu dem Schluss kommen, dass man das ganze besser sein lassen sollte. Nur sollte man sich nicht in Sicherheit wiegen, dass die Problemstellung mit meiner Verweigerungshaltung auch aus der Welt sei. Spätestens wenn ihre Kinder oder Enkel die Technologie im Alltag benutzen, werden sie auch zu einer persönlichen Auseinandersetzung gezwungen sein.Sie werden schnell merken: Verbieten nützt nichts. Und: Ignorieren nützt auch nichts. Die Digitalisierung der Gesellschaft schreitet rasend voran.
Eine Kirche, die sich Land auf Land ab auf die Kirchenfahnen schreibt, dass sie „nahe bei den Menschen“ sein will, kann sich dieser Digitalisierung auf Dauer nicht verschließen. Tut sie es doch, wird sie ihrem Auftrag das Evangelium an „alles Volk“ auszurichten nicht mehr gerecht. In letzter Konsequenz steht damit sogar das Kirchesein selbst auf dem Spiel.
Dennoch überwiegt in weiten Teilen unserer Kirchen die Skepsis, was das sich Einlassen auf die Präsenz im Netz angeht. Meist wird der rüde Umgangston und das Problem des Mobbings als Argument für Zurückhaltung angeführt. Ich halte dies für eine Art Schutzbehauptung sich das Thema vom Leib zu halten und gleichzeitig in einer kulturpessimistischen Sicht den Verlust von Solidarität und das Aufkommen verstärkter Egozentrik dem „Internet“ in die Schuhe zu schieben.
Meine Erfahrungen sind anders: Als Administrator des landeskirchlichen Auftritts (der Evangelischen Kirche im Rheinland) auf Facebook bin ich täglich damit beschäftigt, die abgegebenen Kommentare und Diskussionsverläufe zu sichten, notfalls einzugreifen und im schlimmsten Fall sogar Äußerungen zu löschen oder Nutzer zu blockieren. Die Fanpage der Landeskirche hat knapp 3.000 Fans und ist damit führend im landeskirchlichen Wettbewerb. In den letzten 2 ½ Jahren musste ich genau einen Nutzer blockieren und in wenigen Ausnahmefällen zur Sachlichkeit ermahnen. Und das auch nur dann, wenn Beiträge beworben wurden, d.h. auch in dem Stream von Nutzern landeten, die unserer Seite gar nicht folgten.

Auf der anderen Seite: Gegenseitige Rücksichtnahme im Straßenverkehr oder höflicher Umgangston zwischen Kunden und Verkäufern sind schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Dafür die Kommunikation im Internet verantwortlich zu machen, erschließt sich mir nicht richtig. Ist es nicht eher so, dass sich die gesellschaftlichen Verhaltensweisen in den digitalen Kommunikationsprozessen abbilden?
Umgekehrt gilt auch: Die Kommunikation auf sozialen Plattformen stärkt auch die eher leisen, zurückgezogenen Menschen und gibt ihnen Stimme. Oft würden diese Äußerungen gar nicht getätigt werden. Durch die mediale Vermitteltheit entsteht für sie ein wichtiger Schutzraum. Ohne Social Media Kanäle wäre ich wohl nie mit Menschen in Kontakt gekommen, die sich trotz ihres Autismus für sie adäquat ausdrücken können.
Wie sie nun mehrfach herausgehört haben, gibt es für mich keine ernsthafte Alternative zu einer kirchlichen Präsenz in den Sozialen Medien.

Ich möchte das anhand einiger Zahlen zum Nutzerverhalten im Internet untermauern.

„Das sollten wir jetzt auch mal machen.“ Vielleicht haben das einige unter ihnen auch schon mal gedacht. Vielleicht entsteht heute und hier eine neue Liebe. Vielleicht ein neues Leben?
„Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben, schalala Schalalalala.“ – So könnten einst die Jünger am Ostermorgen gesungen haben, oder doch besser zu Pfingsten?

„Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“, die Botschaft kam an. Damals zu Ostern in Jerusalem und in den Hochzeiten des deutschen Schlagers. Mitte der 70er war das.
Heute versucht der Schlagersänger, der damals Millionen erreichte, der guten alten Zeit neuen Glanz zu verleihen. Und das funktioniert am Besten dann, wenn man technischen Neuerungen und Veränderungen höchst skeptisch begegnet. Jürgen Marcus also (die mit der Dieter Thomas Heck vertrauten Kindheit werden sich wohl erinnnern), Jürgen Marcus bekennt neuerdings: „Ich habe noch niemals eine Email geschrieben!“
Das ist eigentlich vom Nachrichtenwert geradezu belanglos, denn keiner hat wohl wirklich auf dieses Geständnis eines 64 jährigen gewartet, zumal andere Männer in diesem Alter ja meistens durch erneute Zeugungsakte auffallen.Und doch ist dieses „Bekenntnis“ von Öffentlichkeitswirksamer Warte aus betrachtet geradezu genial: Zum einen gibt er den eingeschworenen Fans aller Altersgruppen in ihrer Lebensweise Bestätigung. Denen also, die mit der wachsenden Digitalisierung der Gesellschaft nicht standhalten können oder wollen. Und er (also sein Management) tut so geschickt, dass nicht etwa der allerorten und auch heute und hier genannte Riese "Facebook" verteufelt wird, sondern ein durchaus in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommenes Kommunikationsmittel. Zum anderen jedoch beweist der Schlagerstar, dass er, obwohl er noch nie eine Mail geschrieben haben will, dass er noch ein Star ist.
Denn selbstverständlich hat heute jede und jeder, der bei einer Plattenfirma unter Vertrag ist eine Facebook-Fanpage. So auch Jürgen Marcus! Seinen Fans signalisiert er somit: Seht ihr, ich lese keine Mails und ihr auch nicht, lasst uns „Freunde“ auf Facebook sein. Marketingtechnisch ist die Nachricht eines Schlagerstars, dass er noch nie eine Email geschrieben habe also durchaus als voller Erfolg zu werten.

„Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige!
Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?
Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde.
Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?"

In der Tat ist dieser Aufruf ein wahrhaft prophetischer: Vielleicht würde Deuterojesaja heute etwa so schreiben:
„Liebes Volk Gottes, du, Kirche, wir müssen Reden!
Die Zeit der Matritzen und Matzen ist vorbei!
Ich lege Datenleitungen wie Wasserströme in die Wüste, damit ihr euer
Ziel schneller erreichen könnt.
Der Weg war bei mir noch nie das Ziel.
Sondern die Ankunft und die Anbetung.
Ruft die gute Nachricht durch alle Kanäle, die ich euch bereitstelle. Und wisst dabei:
Ich gehe voran.
Ich gehe voraus – auch durch Kupfer- und Glasfaserkabel.
Habt keine Angst, dieses vermeintlich „böses Internet“ ist nichts anderes als eine harmlose Verpackung der Dinge.
Es kommt daher wie eine rote Schleife und ist doch nur ein schnöder
Pappkarton.“

Legendärer Auftritt der Kraft Gottes. Lang ist’s her. Damals beim Wüstenpropheten. Mitten in Ausweglosigkeit, ein Grund zum Staunen. Aus dem Sandboden ein Keim. In unübersichtlicher Sandwüste ein Weg in die Zukunft. Orientierung. Lang, lang ist’s her. Zu lange? Gedenkt nicht an das Frühere. Ich will ein Neues schaffen.

„Habt keine Angst vor roten Schleifen um das Evangelium.
Und auch die Songs von Jürgen Marcus müssen euch nicht schrecken.
Denkt immer daran: Gott selbst macht Regenbogen.“

Pfarrer Knut Dahl hat uns den Beitrag aus seinem Blog Pastorenstückchen netterweise für unsere Netzmarginalien zur Verfügung gestellt. Er gibt einen Vortrag zum Thema Social Media wieder, den Knut Dahl am 31. März 2014 in Hermannsburg auf der Referentenkonferenz des Hauses kirchlicher Dienste gehalten hat. 

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Knut Dahl

Knut Dahl, Jahrgang 1967, war achtzehn Jahre lang Gemeindepfarrer in der Evangelischen Kirche im Rheinland bevor er eine Stelle als Gefängnispfarrer antrat. Als Rheinländer mag er trotzdem keinen Karneval und zieht sich in dieser Zeit lieber in die Berge zurück. Hin und wieder schreibt er Texte ins Internet oder spricht Worte für "Kirche im WDR" ins Mikrofon. In seinem Blog Pastorenstückchen bloggt er was ihm „bloggenswert“ erscheint, aus den Bereichen Kirche und Gesellschaft und versucht eine Außenperspektive auf “Kirche” einzunehmen, obwohl die Binnenperspektive sein täglich Brot ist.